Die Industrie- und Handelskammer Ostwestfalen zu Bielefeld (IHK) hat am 23. Juli gemeinsam mit dem Gutachterbüro Lindschulte aus Düsseldorf eine Untersuchung zum Kernstraßennetz in der Stadt Bielefeld vorgestellt. Dafür ist das rund 1.300 Kilometer umfassende Straßennetz im Stadtgebiet analysiert worden. Als verkehrlich besonders bedeutend hat das Gutachten 128 Kilometer identifiziert – diese Hauptachsen bilden das Kernnetz für den motorisierten Individual- und Wirtschaftsverkehr. Die Untersuchung bietet eine fundierte Datengrundlage für zukünftige Verkehrsentscheidungen im ostwestfälischen Oberzentrum.
„Die Verkehrswende in Bielefeld darf nicht zulasten der Erreichbarkeit und Wettbewerbsfähigkeit der Stadt und unserer Unternehmen gehen. Es muss sichergestellt sein, dass unsere Wirtschaftsstandorte und die Stadt für alle erreichbar und gut angebunden bleiben“, betont IHK-Hauptgeschäftsführerin Petra Pigerl-Radtke und ergänzt: „Wir sehen keine Gegensätze zwischen Verkehrswende und Wirtschaftsverkehr – vielmehr brauchen wir tragfähige Lösungen, die beide Ziele zusammenbringen. Was heute lokal geplant wird, hat oft stadtweite Auswirkungen. Dafür braucht es ein robustes, verkehrsträgerübergreifendes Gesamtkonzept mit einem belastbaren Rückgrat im Straßennetz.“
Das ermittelte Kernnetz umfasst rund zehn Prozent des Straßennetzes in Bielefeld, trägt aber den Großteil des Gesamtverkehrs – insbesondere Lieferverkehre und Pendlerströme.
„Gerade diese Achsen sind von hoher Bedeutung für Logistik, Erreichbarkeit und innerstädtische Verbindungen“, sagt IHK-Verkehrsgeschäftsführer Götz Dörmann. „Kommt es hier zu Einschränkungen – etwa durch Fahrstreifenrückbau –, drohen Rückstaus mit spürbaren Folgen für Wirtschaft, Betriebe und Beschäftigte.“
Im Gutachten wurde deshalb geprüft, inwiefern Kapazitätsreduzierungen im Kernstraßennetz Auswirkungen auf die dauerhafte verkehrliche Leistungsfähigkeit haben würden und welche möglichen Einschränkungen hinnehmbar sind oder zu einer Überlastung des Kernstraßennetzes führen könnten.
Ein besonderer Fokus der Untersuchung liegt auf der Überlagerung mit Planungen für den Rad- und Nahverkehr. Auf 63 Kilometern und damit knapp der Hälfte des Kernnetzes sind Maßnahmen aus dem Radverkehrskonzept vorgesehen – auf 21 Kilometern davon identifiziert das Gutachten potenzielle Nutzungskonflikte, etwa bei Fahrspurreduktionen oder engen Straßenquerschnitten. Auch beim Ausbau der Stadtbahnlinien 1 und 2 könnten an bestimmten Stellen gesamte Fahrstreifen entfallen. „Besonders dort, wo Rad- und ÖPNV-Maßnahmen zusammentreffen, braucht es eine frühzeitige Abstimmung, um Zielkonflikte zu vermeiden“, stellt Fabian Rütz vom Büro Lindschulte heraus.
„Die aufgezeigten Überlagerungen betreffen keine Nebenstraßen, sondern wichtige Verkehrsachsen mit hoher stadtweiter Bedeutung – etwa die Detmolder Straße oder die Brackweder Straße“, so Dörmann. „Auch Auswirkungen lokaler Eingriffe außerhalb des Kernstraßennetzes müssen frühzeitig erkannt und in der Planung berücksichtigt werden, um neue Engpässe zu vermeiden.“
Auf rund 15 Prozent des Kernstraßennetzes werden Einschränkungen aufgrund der damit einhergehenden Kapazitätsreduzierung oder einer bereits vorhandenen Vollauslastung beziehungsweise Überlastung kritisch gesehen. Bei 52 Prozent des Kernstraßennetzes ist eine sorgfältige Abwägung möglicher Eingriffe zwingend notwendig, da die Auslastung bereits heute an der ermittelten Kapazitätsgrenze liegt. Auf zirka 27 Prozent des Kernstraßennetzes liegen zwar noch Kapazitätsreserven vor, sodass diese Straßen als weniger kritisch bewertet werden – trotzdem müssten aber größere Maßnahmen wie etwa eine Fahrspurreduzierung eng durch entsprechende Untersuchungen begleitet werden.
„Eine zukunftsfähige Verkehrsplanung darf nicht in isolierten Teilkonzepten denken. ÖPNV-Ausbau, Radwege, Lkw-Lenkung und Straßeninfrastruktur gehören zusammengedacht – mit Blick auf die Gesamtfunktionalität des städtischen Verkehrssystems. Mit unserem Gutachten möchten wir unterstreichen, dass eine integrierte Gesamtverkehrsplanung notwendig ist“, erläutert Dörmann.
Positiv bewertet die IHK, dass die Stadt Bielefeld derzeit ein sogenanntes „MIV-Vorbehaltsnetz“ erarbeitet – also ein Vorrangnetz für den motorisierten Individualverkehr als Ergänzung zu Radverkehrs- und ÖPNV-Konzepten. Die IHK bringt sich in diesen Prozess über die Bielefelder Mobilitätskonferenz aktiv ein.
„Die verkehrlichen Ziele der Stadt stehen fest – was fehlt, ist ein konkretes Bild der städtebaulichen Umsetzung unterstützt durch ein integriertes Konzept“, unterstreicht Pigerl-Radtke. „Die Verkehrswende kann nur gelingen, wenn die Maßnahmen auf klaren Fakten fußen. Die Herausarbeitung des Kernnetzes bietet eine solche fundierte Entscheidungsgrundlage – nicht als fertige Lösung, sondern als Werkzeug zur sachlichen Diskussion. Das Kernstraßennetz ist ein strategisches Analyseinstrument, um die Leistungsfähigkeit des städtischen Verkehrsnetzes zu sichern und mit geplanten Umbauten abzugleichen.“ Ziel sei es, die verschiedenen Anforderungen an den Straßenraum – vom Wirtschaftsverkehr bis zur städtischen Aufenthaltsqualität – in Einklang zu bringen.
Das Gutachten finden Sie hier.
Hinweis:
Die Untersuchung basiert auf Modell- und Zähldaten aus dem Jahr 2021. Die aktuelle Baustellensituation war für die Erarbeitung des Kernstraßennetzes nicht relevant.