Viele Unternehmen in Ostwestfalen begegnen den aktuellen wirtschaftlichen Herausforderungen mit bemerkenswerter strategischer Weitsicht. Das zeigt eine gemeinsame Umfrage der Industrie- und Handelskammer Ostwestfalen zu Bielefeld (IHK) und der Hochschule Bielefeld unter 180 Unternehmen in der Region. Im Fokus standen die wirtschaftliche Anpassungsfähigkeit, die Zukunftsorientierung und die Rolle des Personalmanagements. Die Ergebnisse belegen, dass die Betriebe in der Region nicht nur auf Sicht fahren, sondern aktiv ihre Zukunftsfähigkeit gestalten. Sie reagieren trotz der krisenhaften Konjunkturlage, die sich für rund drei Viertel aktuell stark auswirke, nicht reflexhaft mit Personalabbau, sondern setzen vor allem auf flexible und vorübergehende Maßnahmen wie Arbeitszeitkonten oder den Abbau von Überstunden und Resturlaub sowie gezielte Qualifizierung.
Jeweils rund 90 Prozent der Befragten nennen die konjunkturelle Entwicklung, die Digitalisierung und den Einsatz von Künstlicher Intelligenz sowie den demografischen Wandel und Fachkräftemangel als sehr starke oder starke Einflussfaktoren für die kommenden fünf Jahre. Auch Werteveränderungen nachfolgender Generationen sehen fast vier von fünf Unternehmen als beeinflussenden Trend. Trotz dieser Vielzahl an externen Herausforderungen schätzen 83 Prozent ihr Unternehmen als sehr oder ziemlich anpassungsfähig ein. Fast 70 Prozent attestieren dabei dem Personalmanagement einen wesentlichen Beitrag zur wirtschaftlichen Resilienz.
So sind Arbeitszeitkonten bei 70 Prozent der Unternehmen bereits eingeführt oder in der Umsetzung, der Abbau von Überstunden und Resturlaub wird bei 60 Prozent aktiv genutzt, Kurzarbeit ist für etwa jeden dritten Betrieb eine Option. Betriebsbedingte Kündigungen sind dagegen für 77 Prozent der Unternehmen nach eigenen Angaben aktuell kein Thema, die Nichtverlängerung befristeter Verträge spielt bei mehr als der Hälfte keine Rolle. Stattdessen setzen fast zwei Drittel der Unternehmen auf Weiterbildung und jedes zweite auf Beteiligung der Mitarbeitenden bei der Entwicklung von Anpassungsmaßnahmen. Die strategischen Prioritäten spiegeln diesen Kurs wider: 72 Prozent priorisieren den qualitativen Belegschaftsumbau, 62 Prozent fokussieren sich auf die Entwicklung von Zukunftskompetenzen, während nur etwa jede fünfte Firma Personalabbau als erste Priorität nennt.
Auch bei der Entwicklung des Personalbestands zeigt sich ein zukunftsgerichtetes Bild. In Ostwestfalen erwarten 37 Prozent der Unternehmen in den kommenden sieben Jahren einen Personalaufbau, während ein Viertel eine Reduktion plant. Für Deutschland insgesamt liegen die Werte bei 33 Prozent Aufbau und ebenfalls rund 25 Prozent Reduktion. Mit Personalaufbau im Ausland plant jeder fünfte Betrieb, während 59 Prozent mit Konstanz rechnen. Qualitativ verändert sich die Belegschaft demnach ebenfalls deutlich: Fast vier von fünf Unternehmen erwarten einen höheren Anteil qualifizierter Stellen und prognostizieren ein steigendes Anforderungsniveau. 40 Prozent rechnen mit neuen Jobfamilien, die klassische Rollen ablösen.
Besonders gefragt sind Kompetenzen wie Selbstorganisation, strategisches Denken, Lernfähigkeit sowie der Umgang mit KI und komplexen Daten. Auch Projektmanagement zählt für drei Viertel der Betriebe zu den zentralen Zukunftsfähigkeiten. Diese Kompetenzen sind entscheidend für die Bewältigung zukünftiger Aufgaben und spiegeln den strategischen Anspruch vieler Unternehmen wider.
Die Mehrheit der Unternehmen sieht sich für die Zukunft gut gerüstet: Drei Viertel verfügen nach eigenen Angaben über eine klare Vision, fast ebenso viele haben ihr Geschäftsmodell digitalisiert, 71 Prozent setzen auf flexible Organisationsstrukturen. Gleichzeitig offenbart die Befragung Optimierungspotenziale – insbesondere bei der Unternehmenskultur, die nur knapp zwei Drittel als wandlungsfähig einschätzen.
„Zukunftsorientierte Unternehmen setzen Veränderungen konsequent um – von strategischer Personalplanung über digitale HR-Prozesse bis hin zu moderner Führungskultur mit flachen Hierarchien und delegativer Verantwortung. Damit unterscheiden sie sich deutlich von weniger zukunftsorientierten Unternehmen, die sich noch in der Diskussion befinden oder auf kurzfristige Maßnahmen setzen“, erklärt Prof. Dr. Sascha Armutat, Studienleiter und HR-Experte. „Die Ergebnisse zeigen, dass viele Unternehmen in der Region ihre Personalpolitik nicht als Reaktion auf äußere Einflüsse verstehen, sondern als strategisches Instrument zur Zukunftsgestaltung“, so Armutat: „Personalmanagement wird zur Schaltstelle für Transformation – es stabilisiert in der Krise und treibt zugleich die Entwicklung neuer Kompetenzen und Strukturen voran.“
IHK-Hauptgeschäftsführerin Petra Pigerl-Radtke betont: „Die Befragung unterstreicht, wie verantwortungsvoll und vorausschauend viele Betriebe in Ostwestfalen mit den aktuellen Herausforderungen und der angespannten konjunkturellen Lage umgehen. Sie setzen in großer Mehrheit auf Qualifizierung und Beteiligung statt auf kurzfristige Kürzungen beim Personal – das ist ein starkes Signal für die Zukunft unserer Wirtschaftsregion. Umso mehr sind jetzt wirtschaftspolitische Weichenstellungen dringend erforderlich, um diese Anstrengungen zu unterstützen und die Wettbewerbsfähigkeit der Region nachhaltig zu sichern.“
Die Studie ist abrufbar im Internet unter: journals.hsbi.de/hrmw/article/view/203