Kurz vor der Stichwahl um das Oberbürgermeisteramt in Bielefeld haben die beiden Kandidierenden, Dr. Christiana Bauer (CDU) und Ingo Nürnberger (SPD), auf Einladung der Industrie- und Handelskammer Ostwestfalen (IHK) über zentrale wirtschaftspolitische Themen debattiert. Sie stellten sich bei einer Podiumsdiskussion vor rund 60 Zuhörern den Fragen von IHK-Hauptgeschäftsführerin Petra Pigerl-Radtke und Timo Fratz, Chefredakteur von Radio Bielefeld. Fokusthemen waren die Entwicklung von Gewerbeflächen, Bürokratieabbau, Digitalisierung, Mobilität, Steuern, die Attraktivität der Innenstadt sowie Fachkräftesicherung.
IHK-Präsident Jörn Wahl-Schwentker betonte in seinem Grußwort die Rolle der Kommunen als „wirtschaftspolitische Taktgeber. Sie setzen die Rahmenbedingungen, unter denen Unternehmen investieren, wachsen oder abwandern. Wer Bielefeld zukunftsfest machen will, braucht Weitblick, Pragmatismus und Mut zur Gestaltung.“
Den Auftakt machte eine persönliche Frage: Welches Unternehmen würden die Kandidierenden gründen, wenn sie heute starten müssten? Bauer entschied sich für eine Boutique für Damen- und Kindermode in der Bielefelder Altstadt, Nürnberger für ein Bauunternehmen, um Wohnungen zu schaffen. Anschließend wurden in der Diskussion neben manchen Gemeinsamkeiten zwischen den beiden auch einige Unterschiede deutlich – etwa bei der Bewertung der bisherigen Verwaltungspolitik und der künftigen Ausrichtung. Nürnberger warb mit seiner zehnjährigen Erfahrung als Dezernent. Er kenne die Probleme und wolle sie als OB lösen. Dabei wolle er innerhalb der Stadtverwaltung etwa bei Baugenehmigungen das Bauamt gegenüber anderen Ämtern stärken. Zudem kündigte er für den Fall seiner Wahl ein Gipfeltreffen mit IHK, Handwerkskammer und weiteren Wirtschaftsverbänden an, um über konkrete Herausforderungen zu sprechen und dann Lösungen zu entwickeln. Bauer hielt dagegen: Unter SPD-Führung habe die Verwaltung 16 Jahre lang keinen Blick für die Belange der Wirtschaft gehabt, sondern eher Gründe gesucht und gefunden, die Projekten im Weg stünden. „Es wird Zeit, dass die Wirtschaft im Rathaus gehört wird“, sagte Bauer. Sie wolle als Oberbürgermeistern die Verwaltung zum „Ermöglicher“ machen.
Beim Thema Gewerbeflächen will Bauer die Baulandstrategie mit gedeckelten Ankaufpreisen abschaffen, sie sei ein „Bremsklotz“. Nürnberger entgegnete, das Problem seien weniger die Preise, sondern fehlende Ersatzflächen für Landwirte.
Auch beim Bürokratieabbau setzen beide unterschiedliche Akzente. Bauer will verbindliche Fristen für interne Rückmeldungen zwischen den Ämtern in der Verwaltung, Ermessensspielräume bürgerfreundlich nutzen und die Baumschutzsatzung abschaffen. Zudem wolle sie beobachten, welche Erfahrungen andere Behörden mit dem Instrument der Genehmigungsfiktion machen – dass also Anträge nach einer bestimmten Zeit als gestattet gelten, wenn die Behörde nicht anders entscheidet. Nürnberger findet die Genehmigungsfiktion ebenfalls eine denkbare Option. Zudem wolle er die Zusammenarbeit in der Verwaltung neu strukturieren, sodass sich Ämter nicht länger gegenseitig blockieren, die risikoaverse Haltung der Verwaltung ändern und Mitarbeitenden mehr Mut zu pragmatischen Entscheidungen machen. Nürnberger kritisierte auch die „viel zu langsame Digitalisierung“ der Stadtverwaltung und schlug ein Modernisierungsbudget sowie einen „Wettbewerb um die besten Ideen“ vor.
In der Steuerpolitik waren sich beide einig, dass eine Senkung des Gewerbesteuerhebesatzes unrealistisch sei. Nürnberger kündigte an, keine neuen Steuern wie etwa die Verpackungssteuer einführen und Kleinststeuern wie die Vergnügungssteuer bei entsprechender Haushaltslage abschaffen zu wollen. Bauer setzt auf eine aktive Wirtschaftspolitik, um die Einnahmenbasis zu stärken und die Attraktivität für Unternehmen und Fachkräfte zu erhöhen.
Beim Thema Mobilität fordern beide ein besseres Baustellenmanagement, unterscheiden sich aber in anderen Aspekten: Bauer will für alle Verkehrsträger vom Auto bis zu Fußgängern ein ganzheitliches Konzept, die Erreichbarkeit der Innenstadt sichern, Parkplätze nicht weiter reduzieren und Einfallstraßen leistungsfähig halten. Nürnberger plädiert für mehr Sachlichkeit in der Verkehrspolitik, fordert bei Radwegen Lückenschlüsse und vor allem die Sanierung des Bestands, eine Stärkung des ÖPNV in die Stadtteile und einen gezielten Ausbau der Stadtbahn.
Weitgehende Einigkeit herrschte bezüglich der Attraktivierung der Innenstadt. Beide sehen die Entwicklung der Karstadt-Immobilie als Schlüsselprojekt und sprechen sich für Mischnutzungen aus Handel, Büros, Dienstleistungen, Gastronomie und gegebenenfalls Wohnen aus. Ergänzend nannten sie Sicherheit, Sauberkeit und Begrünung als wichtige Faktoren einer attraktiveren Innenstadt. Bauer bekräftigte zudem den Punkt Erreichbarkeit mit dem Auto.
Bei der Fachkräftesicherung betonte Bauer die Gleichwertigkeit der dualen Ausbildung und verwies auf den Bedarf an Azubi-Wohnheimen. Nürnberger nannte ein erstes, bereits realisiertes Wohnheim und weitere Planungen sowie die Bedeutung von Berufsorientierung und Integrationsangeboten.
Unabhängig vom Wahlausgang gilt aus Sicht der IHK: Die neue Oberbürgermeisterin oder der neue Oberbürgermeister muss an der Spitze der Stadt Bielefeld die Weichen für eine starke Wirtschaft stellen – von Gewerbeflächen und schnellen Genehmigungen über Mobilität und Digitalisierung bis zur Fachkräftesicherung.